
Ausstellung „Armut im Fokus“ in Mainz

Mainz [ENA] Am 6.5.2025 wurde die Ausstellung im Bürgerhaus Finthen eröffnet. Im Folgenden sind Auszüge aus den Ansprachen der Auftaktveranstaltung zur Ausstellung „Armut im Fokus“ des Sozialverbands VdK Rheinland-Pfalz e.V. zusammengefasst. Auch Betroffene kommen zu Wort.
Die Beiträge geben uns ein umfassendes Bild der Situation von Armut in Deutschland. Konkrete Lösungen werden angeboten. Willi Jäger, Vorsitzender des Sozialverbands VdK Rheinland-Pfalz e.V., eröffnet die Veranstaltung. Das Thema Armut werde oft ignoriert. Armut habe nichts mit Faulheit und Schuld zu tun. Wir sollten Armut der Bundes- , Landes – und auf kommunaler Ebene bekämpfen. Drei Schwerpunkte sehen wir in der kommunalen Verantwortung: 1. ein landesweites Sozialticket. 2. Barrierefreier Wohnraum und 3. die Bekämpfung der Obdachlosigkeit. Mobilität sei Teilhabe und damit Teil der Armutsbekämpfung.
Frau Christiane Kraetsch berichtet als Armutsbetroffene von ihren Erfahrungen, ihrer Krankheit. Diagnose Krebs war ein Schicksalsschlag in ihrem Leben. Sie war erwerbstätig und stürzte in die Armut. Sie habe keine behindertengerechte Wohnung, Diese sei auch schwer zu bekommen. Die allgemeinen Lebenshaltungskosten sind gestiegen. Sie erfuhr das Stigma der Armut und das Schamgefühl, arm zu sein. Sie wünsche sich keine Bemitleidung, aber die Erfahrungen von ihr sollten gehört werden. Die Bürokratie war bei den Anträgen elend lang. Doppelt bis Dreifach mussten Anträge gestellt werden. Eine persönliche Beratung fehlte. Sie wusste nicht, was sie wo beantragen konnte.
Professor Dr. Christoph Butterwegge hielt die Keynote. Das Thema Armut aus wissenschaftlicher Perspektive könne nicht ohne das Thema Reichtum und Vermögen beleuchtet werden. Die Armen seien sozial ausgegrenzt, sie erhielten wenig Aufmerksamkeit. Erst Mitte der 90er Jahre hatte er selbst Forschungsinteresse an dem Thema Kinderarmut und konnte ein Forschungsprojekt dazu in die Wege leiten. Kinderarmut sei eng mit Elternarmut verbunden. Die Mütter, speziell alleinerziehende Mütter, erfahren eine wachsende soziale Ungleichheit. Diese Ungleichheit sei das Kardinalproblem. Die gesellschaftliche Ungleichheit sei strukturell und führe zu einer Spaltung der Gesellschaft. Sie verstärke die Entwicklung der rechten Partei.
Der Zusammenhang von reich und arm, d.h. die sozioökonomische Ungleichheit spiegele sich In den Zahlen der Einkommensverteilung wider. Wir sprechen nicht von der absoluten Armut, wo die Menschen nicht die Grundbedürfnisse befriedigen können, zum Beispiel in Teilen des globalen Südens. Wir sprechen von der relativen Armut. Die beginne dort, wo die Menschen unter 60% des Medianwertes des Einkommens haben. Das sind zirka 15,5% der Bevölkerung in Deutschland, also 13 Millionen Menschen, die weniger als 1.381 € Haushaltseinkommen haben. Die Ungleichheit werde größer. Die relative Armut komme immer näher in die Mitte der Gesellschaft. Die armutsgefährdeten Menschen seien keine Randgruppe mehr.
Wir haben in Deutschland 41.000 Obdachlose. Sie leben auf der Straße. Was ist reich? Wer ist reich? Ist ein Studienrat mit 4.000€ netto reich oder jemand, der Vermögen hat im Nettowert von 400.000 € zum Beispiel eine Immobilie? Nein, reich sind Menschen, die einzig von den Erträgen ihres Vermögens bis ans Lebensende auf sehr hohem Niveau leben können. Das DIW hat eine Einkommensverteilung-Studie durchgeführt. Danach sind 10% der reichsten im Besitz von 67% des Netto-Gesamtvermögens in Deutschland. Die fünf reichsten Familien besitzen zusammen 250 Milliarden Euro. Das entspricht circa 50% des Einkommens der Bevölkerung, also von ca. 40 Millionen Menschen. Der Reichtum konzentriere sich auf wenige Familien.
Die reichste Person in Deutschland sei Dieter Schwarz, Vorstand von Lidl, mit 41 Milliarden Euro Vermögen, das er allein besitzt. Diese Hyper-Reiche seien für die Gesellschaft schädlich. Was sind die Ursachen für diese Ungleichheit? Nach Prof. Dr. Butterwegge sind dies: Erstens: die De-Regulierung des Arbeitsmarktes durch Hartz. Die Leiharbeiter-Verträge, die prekären Beschäftigungsverhältnisse schaffen und der Niedriglohn-Sektor. Der niedrige Lohn schafft den hohen Gewinn. Zweitens: der Sozialstaat. Der Umbau schuf die Kinderarmut. Der Riester Vertrag kam nur für bestimmte Einkommensschichten infrage. Die Rente wurden in der Höhe auf 43% gekürzt. Jetzt auf dem Niveau von 48% stabilisiert.
Die Altersarmut habe die Kinderarmut überholt! Das zeige der Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes 2025. Drittens: die Steuerpolitik. Die Steuerpolitik sei nach dem Matthäus Prinzip: Wer viel hat, dem wird gegeben, und wer wenig hat, dem wird auch das womöglich noch genommen. Vermögenssteuer und Kapitalertragssteuer sind abgeschafft bzw. reduziert worden. Das habe den Hyper-Reichen Vorteile gebracht. Sie zahlen die wenigsten Steuern. Wer sehr reich sei, sei auch politisch einflussreich.
Was wir fordern: 1. einen hohen Mindestlohn, der über 15 € liegt. 2. eine mehr solidarische Bürgerversicherung und 3. eine Steuerpolitik, die die Ungleichheit ausgleicht. Der Solidaritätszuschlag sollte beibehalten werden und sollte sich sogar verdoppeln. Er wird auf die Kapital-Ertragsteuer erhoben, und das sei auch gut so. Eine Vermögenssteuer, die über 10 Prozent über 5 Jahre erhoben werden sollte, bedeute eine 2%ige jährliche Besteuerung.
Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK Deutschland, stellt die Forderungen des Sozialverbandes VdK zur Armutsbekämpfung vor. Der Sozialstaat sei die Lösung und nicht das Problem. In Deutschland existiere überall Armut, sichtbar oder nicht sichtbar. Wir sehen Obdachlose Menschen, wir sehen Menschen, die Pfandflaschen einsammeln. Die Armut sei oft verborgen. Zum Beispiel: wenn arme Menschen ihre Wohnung nicht mehr ausreichend heizen können - das sei nicht sichtbar. Dass sie sich keine Butter mehr leisten können, sei nicht sichtbar. Wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt, gilt als armutsgefährdet. Für Alleinlebende waren das 1.310 Euro netto im Monat in 2023, für ein Paar mit zwei Kindern 2.751 Euro.
Auf dieser Grundlage waren 14,3 % der Bevölkerung in Deutschland armutsgefährdet oder knapp 12 Millionen Menschen. Jede siebte Person sei armutsgefährdet. Die Lebenshaltungskosten sind durch die Inflation deutlich gestiegen. Wenn man die realen Wohnkosten berücksichtige, sind nicht 12 Millionen, sondern 17 Millionen Menschen armutsbetroffen – also 5 Millionen mehr. Wir können davon ausgehen, dass sich der Anteil der armutsgefährdeten Personen auf hohem Niveau stabilisiere und unter Umständen noch zunimmt.
Die Bekämpfung von Armut sei auch für ältere Personen notwendig. Die älteren Frauen, die armutsgefährdet sind, beantragen oft keine Unterstützung. Das tun sie aus Scham oder zum Schutz ihrer Kinder. Sie sprechen nicht darüber. Sie wissen auch oft nicht, wo sie Hilfe bekommen könnten. Die Inflation, die zunehmenden Heizkosten, die zunehmenden Mieten, die hohen Stromkosten, also die grundständigen Ausgaben, seien von diesen Menschen oft nicht mehr zu bestreiten. In Rheinland-Pfalz sei die Altersarmut bei 21% der Menschen angekommen. Frauen haben 46%. weniger als Männer. Die Männer haben im Durchschnitt 1.285 €, die Frauen 717 €.
Verena Bentele sagt, dass es also nicht nur ein Gender Pay Gap gäbe, sondern auch ein Gender Pension Gap. 60% der anspruchsberechtigten Menschen stellen keinen Antrag. Davon sind besonders Frauen betroffen. Zwei Millionen Kinder sind in Deutschland von Armut betroffen. Was helfen könne: Löhne rauf, Steuern runter, und eine existenzsichernde Beschäftigung für alle, bezahlbaren Wohnraum, eine Mietgrenze und eine kostengünstige Mobilität, gute Lebensmittel zu erträglichen Preisen, keine Kürzungen der Sozialausgaben, ein Ja zum Sozialstaat und eine gerechte Steuerpolitik. Wir müssten auch Konzerne, die hier Gewinne machen, aber ihren in Sitz im Ausland haben, besteuern können.
Wir bräuchten für die Betroffenen bzw. für die Antragstellung bessere Zugänge, analoge Zugänge, das heißt, von Person zu Person. Digital erreiche nicht alle. Armut sei keine individuelle Schwäche – sie sei ein Ausdruck struktureller Ungleichheit. Es wurden Videos von Armutsgefährdeten bzw. von Armut betroffenen Menschen gezeigt. Sie kamen zu Wort. Ein Beispiel: „Ich fühle mich absolut verlassen von der Politik!“.
Dörte Schall, Ministerin für Arbeit, Soziales Transformation und Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz, vertritt den Ministerpräsidenten Schweizer der heute in Berlin zur Wahl des neuen Bundeskanzlers ist. Die Diskussion über Bürgergeld und Bürgergeld-Bezieher sei oft eine beschämende Diskussion. Wir reden über Menschen. Die Kindergrundsicherung sei gescheitert. Obwohl das Problem und die Lösung seit 30 Jahren bekannt seien, seien die Altersarmut nach wie vor auf hohem Niveau. Viele Frauen trauten sich nicht, Unterstützungsleistungen zu beantragen. Wir bräuchten ein Lotsen-System für Sozialleistungen, so dass Leistungen an einer Stelle zusammenfassend beantragt werden können.
Also weg von Jobcenter, Sozialbehörde und weiteren, hin zu einer zentralen Leistungsbeantragungsstelle. Es sei egal, ob selbstverschuldete Armut oder nicht selbstverschuldete Armut, jeder Mensch verdiene Respekt und hat Anspruch auf Unterstützung. Auch das Ehegattensplitting solle reformiert werden. Wir müssten das Armutsrisiko minimieren und das als gesamtgesellschaftliche Verantwortung sehen. Das Hopping von einer Behörde zur anderen, um die Leistungen zu erhalten, sei der Sache nicht dienlich. Eine soziale Teilhabe sei ebenso notwendig.
In einem weiteren Vortrag berichtet Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn von Lösungsmöglichkeiten auf der politischen Ebene. Die Armen seien ärmer geworden. Es sei Zeit, eine Lösung zu finden. Erstens: „Housing first“ ist ein Prinzip des Kampfes gegen die Obdachlosigkeit. Hierzu bestehe ein Aktionsplan bis 2030. Dazu gehörten die flächendeckende Versorgung mit Wohnungen und günstiges Bauen. Zweitens: Die finanziellen Mittel. Die Einkommen wie der Mindestlohn sei noch zu gering. Die Armutsfalle seien auch Jobs, die nicht existenzsichernd sind. Da weniger als ein Drittel die Leistungen, die Ihnen zustehen, beantragt, sollte sich das Antragssystem verbessern.
Eine Änderung von der Holschuld zur Bringschuld würde die Menschen proaktiv informieren, welche Leistungen sie erhalten können. Altersarmut komme im Koalitionsvertrag nicht vor. Eine armutsfeste Rente sollte die Lösung sein. Drittens: Geld ist nicht alles, es geht auch um Mobilität, um Gesundheit, um Wohnen und um öffentliche Infrastruktur. Wir bräuchten also eine gut finanzierte soziale Infrastruktur, damit sich die Situation verbessert. Die Projekte sollten zeitlich geplant sein und eine kontinuierliche Finanzierung sollte gewährleistet werden. Viertens: Wer über Armut rede, darf über Reichtum nicht schweigen.
Die Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer sind zu reformieren. Die Erbschaftssteuer ist viel geringer für Reiche als für Menschen mit durchschnittlichem Einkommen. Wir bräuchten eine gerechte Verteilung des Reichtums. Die Ausstellung "Armut im Fokus" wird gezeigt in der Geschäftsstelle des Sozialvernads VdK Rheinland-Pfalz e.V., Kaiserstr. 62 in 55116 Mainz am 19. Mai 11 - 17 Uhr und am 23. Mai 11 - 16 Uhr.